Dienstag, 8. Januar 2008

Irréversible

"Le temps détruit tout" - Die Zeit zerstört alles. Eine Schlussfolgerung, die ein beleibter, kaum bekleideter Mann trifft nachdem er seine Vergangenheit reflektiert. Zusammen mit einem anderen Mann sitzt dieser auf einem Bett in einem spärlich eingerichteten Zimmer und berichtet wie das inzestuöse Verhältnis zu seiner Tochter sein Leben zu dem gemacht hat, was es ist. Eine gescheiterte Existenz.

So beginnt Gaspar Noés "Irréversible". Der Beginn des Films ist gleichzeitig das Ende der eigentlichen Handlung. Es ist nicht zu viel verraten, wenn ich hier schreibe, dass die Handlung in umgekehrter Reihenfolge erzählt wird, ähnlich wie in Memento.

Die Kamera schwenkt durch den Hof, einige Etagen tiefer, zum Eingang eines Clubs aus dem 2 Männer in Handschellen herausgeführt werden. Es folgt eine der verstörendsten und härtesten Einführungen, die ich in einem Film gesehen habe. Getrieben von blinder Rachsucht eilt Marcus, eine der drei Hauptfiguren des Films, auf der Suche nach dem Vergewaltiger seiner Freundin Alex durch die Gänge des Schwulenclubs Rectum. Umgeben von Rotlicht, monoton-verstörenden Geräuschen und Männern, die ihren sado-masochistischen Fantasien nachgehen. Die
hektischen Kamerabewegungen intensivieren die ohnehin schon düstere, brutale und abgründig wirkende Atmosphäre.


Bei diversen Premieren sind die Zuschauer massenweise und voller Empörung aus den Kinos geflüchtet. Auch im Internet findet man viele Meinungen, die den Film als "abstoßend" oder den Regisseur sogar als "kranken Menschen" bezeichnen. Die dafür ausschlaggebenden Szenen sind tatsächlich nichts für schwache Nerven.

Als Finale der ersten Sequenz wird einem Mann im Club der Schädel mit einem Feuerlöscher zertrümmert. Noés Kameraführung kennt keine Gnade, schwenkt nicht weg, blendet nicht aus. So auch in der der Szene, die der Dreh- und Angelpunkt des Films ist. Die Vergewaltigung von Alex, die in einer ca. 10 Minuten langen Sequenz inszeniert wird. Absolute Stille, keine Bewegung der Kamera, keine Schnitte (der ganze Film kommt ohne Schnitte aus). Der Focus liegt auf dieser einen Szene. Hart, menschenverachtend und brutal.


Was die Härte und Brutalität dieser Szenen ausmacht ist allerdings die Nähe zur Realität. Noé zeigt, was andere nur andeuten. In Internetrezensionen fallen oft Worte wie "pervers", "sinnlos", "krank". Das allerdings ist es, was Noé zeigen will. Selbstverständlich ist eine Vergewaltigung krank, pervers und sinnlos. Es ist ein Armutszeugnis, dass Menschen sich von solchen Dingen erst dann angewidert und angegriffen fühlen, sobald man sie ihnen vor Augen hält. Die Vergewaltigungen, über die in der Zeitung oder im Fernsehen Tag für Tag berichtet wird, werden allerdings eher ausschließlich informativ aufgenommen. Es ist ein Abbild der Realität, das die meisten Menschen nicht sehen oder akzeptieren wollen. Sinnbild dafür ist der Mann, der im Hintergrund auftaucht, sich die Szene ein paar Sekunden lang ansieht und wieder verschwindet.

Selbstverständlich ist es krank, sinnlos und pervers einem Menschen vor Wut den Schädel einzuschlgen. "Irréversible" zeigt wie ein Mensch die Kontrolle verliert, wie er seinen Instinkten nachgibt. Die Sinnlosigkeit gipfelt darin, dass Marcus, der den Club vergeblich nach dem Vergewaltiger abgesucht hat am Ende einen Mann angreift, der nichts mit dem Vorfall zu tun hat. Er weiß weder, dass er es ist noch, dass er es nicht ist. Spätestens nachdem sofort am Anfang ein Unbeteiligter diesem blinden Hass brutal zum Opfer fällt, muss man sich als Zuschauer mit der Nachricht, die der Film vermitteln will auseinandersetzen.

Statt plumpe Argumente wie "Sowas darf man nicht zeigen" oder "pervers, krank, sinnlos" anzubringen, sollte man sehen, dass Noé bewusst solche Szenen benutzt um aufzurütteln. Ja, es ist schonungslos, es ist brutal und anstoßend. Aber es ist keinem kranken Hirn eines kranken Mannes entsprungen, es ist aus der Realität übernommen.

Gaspar Noé hat einen atmosphärisch dichten Film geschaffen, der Ursache und Wirkung immer durchdacht miteinander verknüpft, indem er die Gewalt eben nicht verherrlicht, sondern die Ursache analysiert und die Sinnlosigkeit der Reaktion zeigt, die die Vergangenheit doch nicht umkehren oder ungeschehen machen kann. Ein Film, der erschreckend Realitätsnah ist und zeigt wie tief Menschen fallen können. Selbst die "schönen" Szenen am Ende - die ja eigentlich der Beginn sind - werden von den Ereignissen überschattet und zeigen, dass es nicht immer nur "die Anderen" trifft, dass jede idyllische Existenz in einem Moment auseinandergerissen werden kann. Le temps détruit tout.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

hm, hab jetzt ne menge über den film gehört & gelesen, wird wohl zeit, ihn sich mal anzusehen.